Die 12 Schritte-Gruppen in der Bad Herrenalber Klinik
(Teil 2) Auszüge aus meinem Vortrag auf dem Kolloquium des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim am 02.08.2022 über das Behandlungskonzept der Psychosomatischen Klinik Bad Herrenalb - ein Überblick über die Besonderheiten gemeinsam vorgetragen mit Rolf Krause, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Ich möchte jetzt über das Element der 12 Schritte Gruppen zu sprechen kommen. In der Klinik gab es an jedem Abend nach dem Abendessen die Möglichkeit an 12 Schritte Gruppen teilzunehmen.
Eine Besonderheit der Gruppen ist das Prinzip der Anonymität: “Wen Du hier siehst, was du hier hörst, wenn Du gehst, lass es hier”. Deshalb war auch sichergestellt, dass alles was man in diesen Gruppen sagte, in den Gruppen blieb und nicht im Therapieprozess verwendet wurde. Ich komme im Zusammenhang mit der Arbeit in der Großgruppe später noch darauf zu sprechen, warum das für mich wichtig war. Da nach Walther Lechler “Der Mensch des Menschen Medizin ist” und Genesung nur im ehrlichen Austausch mit dem anderen Menschen stattfinden kann, ist es essentiell, dass der Mensch diese Genesung im Gruppenkontext erfährt.
Wie funktionieren Meetings: Da sie eine einfache klare Struktur haben, könne sie von vielen TeilnehmerInnen geleitet werden. Dazu wird zuerst aus Texten vorgelesen. Danach finden Sharing-Runden statt, in denen von den TeilnehmerInnen “Erfahrung, Kraft und Hoffnung“ geteilt wird. Es ist ein sehr ehrliches Mitteilen. Auch gibt es die Möglichkeit, eine/r erzählt seine Lebensgeschichte oft in der Form: (1) Wie war es vor der (Erkrankung/Kapitulation), (2) was geschah dann und (3) wie es heute.
Sponsorschaft ist eine Form der persönlichen Begleitung durch die 12 Schritte, besonders durch die ersten Wochen in der 12-Schritte-Gruppe, denn die Neuen sind die wichtigsten Personen in der Gruppe. Auch die Übernahme von Diensten für das Meeting und die Gemeinschaft als Ganzes ist ein wichtiges Werkzeug der persönlichen Genesung. Jedes Meeting ist selbständig "außer in Fragen, die die gesamte Gemeinschaft angehen". Gruppen-Inventur ist wichtig für das Funktionieren eines Meetings, da kommt alles auf den Tisch, dass die Genesung behindert.
Da es bei der Aufnahme in die Bad Herrenalber Klinik bald eine beträchtliche Wartezeit gab, kam Walther Lechler auf die Idee, den Wartenden bis zur Klinikaufnahme bereits die Teilnahme an 12-Schritte-Gruppen zu verordnen. Manchmal verbesserte sich der Zustand der Patienten auf Grund der Gruppenteilnahme bereits so stark, dass schliesslich auf eine Einweisung in die Klinik verzichtet wurde. Dieses Vorgehen würde heute als „Social Prescribing“ bezeichnet und stellt gegenwärtig eine neue und vielversprechende Vorgehensweise der Hausärzte gegen Einsamkeit und Depressionen das englische Gesundheitssystem NHS vom Kopf auf die Füße. Man könnte auch sagen: Social Prescribing wurde Anfang der 70er Jahre in einem kleinen Ort im Nord-Schwarzwald erfunden, nur leider ist das in Deutschland wieder in Vergessenheit geraten.
Die Einbeziehung der Meetings am Heimatort hilft ungemein beim Ankommen zu Hause nach der Klinik. Und das Ankommen eines Klinikteilnehmers/In hilft auch dem Meeting, immer wieder neue Impulse aufzunehmen.
Die 12 Schritte-Gruppen haben die Besonderheit, dass “Unsere Vertrauensleute nur betraute Diener sind, die nicht herrschen“. Die Gruppenleitung beruht auf dem Prinzip der servant leadership. Sie ist Dienst auf Augenhöhe. Es gab auch verschieden Ehemaligen-Gruppen an den Wohnorten nach der Klinikzeit, die von ehemaligen Patienten gegründet wurden.
Dass das Bad Herrenalber Modell die Organisationskultur der 12 Schritte Gruppen in sich aufgenommen hat, stellte den Halbgott in weiß natürlich in Frage.
Weiter Teil 3